Antwort der Landesregierung:Mehrere Fälle von Tuberkulose in niedersächsischen Schlachthöfen: Was unternimmt die Landesregierung, um die Beschäftigten zu schützen?

Mehrere Fälle von Tuberkulose in niedersächsischen Schlachthöfen: Was unternimmt die Landesregierung, um die Beschäftigten zu schützen?

Anfrage der Abgeordneten Eva Viehoff, Anja Piel, Miriam Staudte, Christian Meyer, Dragos Pancescu und Belit Onay (GRÜNE), eingegangen am 17.12.2018 - Drs. 18/2444 an die Staatskanzlei übersandt am 19.12.2018

Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung namens der Landesregierung vom 21.12.2018


Vorbemerkung der Abgeordneten
Medien berichten, dass in einem Schlachthof in Westeremstek (Landkreis Cloppenburg) mehrere Beschäftigte an Tuberkulose (TBC) erkrankt seien. Laut der Deutschen Presseagentur (dpa) sind dort aktuell drei Beschäftigte betroffen. Ein Patient sei gestorben (dpa, 14.12.2018). Laut der Nord-west-Zeitung (NWZ) soll das Gesundheitsamt angegeben haben, dass es in dem Betrieb, der zum Vion-Konzern gehöre, bereits im Februar 2018 einen TBC-Fall bei einem rumänischen Mitarbeiter gegeben habe (NWZ, 14.12.2018). Drei weitere Fälle von TBC seien dem Amt dann im September und Oktober vom behandelnden Krankenhaus gemeldet worden. Auch diese Männer seien beim Schlachthof beschäftigt und kämen aus Rumänien. Die Oldenburgische Volkszeitung gibt an, dass zudem Beschäftigte im Schlachthof von Danish Crown in Essen/Oldenburg mit TBC infiziert sein könnten. Inoffiziell soll von 14 Mitarbeitern die Rede sein, die am Band gearbeitet hätten. Erst als der Landkreis Osnabrück einen Hinweis gegeben habe, seien 40 Kontaktpersonen untersucht wor-den, jedoch ohne Befund. In Westeremstek seien 96 Menschen aus dem Umfeld der Erkrankten untersucht worden. 55 davon wiesen Antikörper auf, die auf Kontakt mit TBC schließen lassen, aber nicht zwangsläufig eine Erkrankung verursachen müssten. Bei zwölf Untersuchten stehe das Ergebnis noch aus. Ungeachtet dessen machten sich die Beschäftigten in den Schlachthöfen zu-nehmend Sorgen, sich bei erkrankten Kollegen anzustecken. TBC überträgt sich beim Husten und Niesen.


Kritik äußerte unterdessen die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Danach seien schon in der Vergangenheit TBC-Erkrankungen bei Werkvertragsarbeitern aus Osteuropa in Deutschland bekannt geworden. Das System sei „auf Ausbeutung ausgelegt, krank und kaputt“. Laut NGG bekommen die Arbeiter nur noch eine Einweisung bei den örtlichen Gesundheitsämtern. Vor 30 Jahren sei noch jeder Schlachthof-Mitarbeiter regelmäßig ärztlich untersucht worden (dpa, 14.12.2018).


Vorbemerkung der Landesregierung
Bei der Tuberkulose handelt es sich um ein komplexes Krankheitsgeschehen, das jedoch für das Verständnis des Managements und die Einschätzung des aktuellen Geschehens von Bedeutung ist und daher hier näher erläutert wird.


Die häufigste Form der Tuberkulose ist die Lungentuberkulose. Die Übertragung erfolgt von Mensch zu Mensch, wenn durch z. B. Husten, Niesen oder Sprechen einer an Lungentuberkulose erkrankten Person Tuberkulosebakterien in der Luft verteilt werden. Eine Ansteckung erfolgt allerdings grundsätzlich nicht so leicht wie bei anderen über die Luft übertragbaren Krankheiten (wie z. B. Varizellen, Masern).


Werden diese Bakterien von einer anderen Person eingeatmet, kann es zu einer Infektion kommen. Man muss bei der Tuberkulose deutlich zwischen „infiziert“ und „erkrankt“ unterscheiden. Eine In-fektion bedeutet nicht, dass die Erkrankung auch ausbricht. In den meisten Fällen bleibt es bei ei-ner sogenannten latenten Tuberkuloseinfektion, d. h. es treten keinerlei Krankheitssymptome auf. Dieses Stadium kann durch eine Blutuntersuchung nachgewiesen werden (sogenannter Interferon-GammaTest oder IGRA). Ob es zu einer Infektion kommt, hängt von verschiedenen Faktoren ab:
– Häufigkeit, Dauer und Enge des Kontakts mit einer an infektiöser Tuberkulose erkrankten Person,
– Menge und Virulenz der inhalierten Erreger,
– Empfänglichkeit der exponierten Person.


Nur etwa 5 bis 10 % der Infizierten erkranken an einer sogenannten aktiven Tuberkulose. Zwischen Infektion und Erkrankung können Wochen bis Jahre liegen. Aber auch Jahrzehnte nach der Infekti-on kann es noch zu einer Erkrankung an Tuberkulose kommen, insbesondere dann, wenn das Im-munsystem geschwächt ist. Hierbei ist wie beschrieben die Lungentuberkulose die häufigste Form. Je nach Erkrankungsstadium werden hier die nicht ansteckungsfähige und die ansteckungsfähige Form unterschieden. Da die ersten Symptome einer Tuberkulose wenig spezifisch sind, spielen die zu erfragenden Begleitumstände (Anamnese) eine bedeutende Rolle (Kontakt zu Tuberkuloseer-krankten, Auslandsaufenthalt, Grunderkrankungen). Bei klinischem Verdacht werden radiologische Untersuchungen (z. B. eine Röntgenaufnahme der Lunge) durchgeführt.


Neben Erkrankungen, die das Immunsystem beeinträchtigen, stellen Faktoren wie Drogenabhän-gigkeit, Obdachlosigkeit und Armut typische Risikofaktoren für eine Tuberkuloseerkrankung dar. Die Tuberkuloseraten sind besonders hoch bei Menschen aus Ländern, in denen die Tuberkulose noch sehr häufig ist.


In Niedersachsen wurden im Jahr 2018 bisher 396 Tuberkulosefälle (Stand 19.12.2018) übermittelt. In den vorherigen Jahren seit 2014 schwankten die jährlichen Fallzahlen zwischen 340 und 405 Fällen. Die Zahl der Neuerkrankungen pro 100 000 Einwohner lag in Niedersachsen bei 4,4 im Jahr 2017 und damit weit unter dem Bundesdurchschnitt von 6,7/100 000 EW. In Rumänien lag die ge-schätzte Inzidenz bei 72 Fällen pro 100 000 Einwohner und Jahr (Daten der Weltgesundheitsorga-nisation für 2017).


Vor der erstmaligen Aufnahme der Tätigkeiten an einem Arbeitsplatz mit gewerbsmäßiger Lebens-mittelverarbeitung müssen alle Beschäftigten über die gesetzlichen Verpflichtungen nach §§ 42 und 43 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) belehrt werden. Ziel der Belehrung ist es, ein Bewusstsein für die Problematik der Übertragung von Krankheitserregern durch Lebensmittel zu schaffen. Sie soll die im Lebensmittelbereich Tätigen in die Lage versetzen, Anhaltspunkte für ein Tätigkeitsverbot bei sich selbst festzustellen und entsprechend handeln zu können.


Die anschließenden, alle zwei Jahre gesetzlich vorgeschriebenen Wiederholungsbelehrungen sind vom Arbeitgeber zu organisieren (§ 43 Abs. 4 IfSG).
Dieses Vorgehen ersetzt seit Einführung des IfSG im Jahr 2001 eine „Eingangsuntersuchung“. Eine solche Untersuchung hat sich als wenig effektiv erwiesen, da sie nur eine Momentaufnahme darstellt.


1. Gibt es bereits eine Verständigung zwischen den Ministerien zur Zuständigkeit für die Situation in den betroffenen Schlachthöfen und bezüglich der betroffenen Beschäftigten?
Die Zuständigkeit der Ministerien für die Situation und die Beschäftigten in den betroffenen nieder-sächsischen Schlachthöfen richtet sich allgemein nach den für den jeweiligen Lebenssachverhalt maßgeblichen Rechtsvorschriften.

Arbeitsschutz und Infektionsschutz ressortiert danach im Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung.


Die Prüfung der Einhaltung des gesundheitlichen Verbraucherschutzes auch in Schlachthöfen fällt in den Geschäftsbereich des Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.


Die Einhaltung der Bestimmungen zur Ausstattung von Unterkünften, die nicht zur Arbeitsstätte ge-hören, ist Sache des Ministeriums für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz, während die Be-antwortung von Fragen im Bereich des Arbeitsrechts - von der Regelungszuständigkeit des Bundes abgesehen - zu den Aufgaben des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung gehört.


Bei der Behandlung themenübergreifender bzw. ineinander greifender Fragestellungen tauschen sich die genannten Ministerien natürlich untereinander aus.


2. Liegt der Landesregierung eine unabhängige Einschätzung zu den Ursachen und Ein-flussfaktoren der TBC-Erkrankungen und -Ansteckungen in den niedersächsischen Schlachthöfen vor?
Siehe hierzu auch die in der Vorbemerkung erläuterten Sachverhalte der Erkrankung.
Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 IfSG i. V. m. § 8 und 9 IfSG sind die Erkrankung und der Tod an einer be-handlungsbedürftigen Tuberkulose namentlich an das Gesundheitsamt zu melden. Das Gesund-heitsamt trifft dann gemäß §§ 25 ff IfSG die weiteren notwendigen Maßnahmen, wie z. B. Ermitt-lung von Kontaktpersonen und Schutzmaßnahmen.
Nach Informationen der Landkreise (LK) Cloppenburg und Osnabrück wurde im Jahr 2018 bei je-weils (je LK) vier Personen, die in der Fleischindustrie gearbeitet haben, eine offene Lungentuber-kulose diagnostiziert. Die acht Personen sind rumänische und polnische Staatsangehörige.


Da bei den betroffenen Personen überwiegend unterschiedliche Erregerstämme identifiziert wur-den, handelt es sich offensichtlich bei den meisten Fällen nicht um aktuelle Ansteckungen in den Betrieben oder im Wohnumfeld, sondern um voneinander unabhängige, vermutlich mitgebrachte In-fektionen. Hier stehen noch einige Ergebnisse aus. Die bisherigen Ergebnisse deuten darauf hin, dass nur bei zwei (der insgesamt acht) Fälle eine Infektion durch eine erkrankte Kontaktperson aus dem aktuellen Arbeits- oder Wohnumfeld wahrscheinlich ist. Die anderen Erregerstämme unter-scheiden sich nach den zurzeit vorliegenden Informationen voneinander.


Bei jedem gemeldeten Fall von ansteckender Lungentuberkulose recherchieren die Gesundheits-ämter, wer mit der erkrankten Person in Kontakt war und sich eventuell angesteckt haben könnte. Diese Personen werden dann im Verlauf auf eine Tuberkuloseinfektion getestet und eingehend be-raten. Dazu gibt es sehr genaue Empfehlungen des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose, an denen sich die Gesundheitsämter orientieren.


Das Gesundheitsamt Cloppenburg führte in der 49. KW eine umfangreiche Untersuchung von Kon-taktpersonen durch. Bei 94 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wurde eine Blutentnahme durchge-führt und die Blutprobe im NLGA durch den IGRA-Test untersucht. Dieser Test fällt positiv aus, wenn die Person irgendwann im Laufe ihres Lebens einmal mit Tuberkulose in Kontakt gekommen ist, und bedeutet nicht, dass die Person erkrankt oder ansteckend ist. Dieser Test war bei 59 der 94 untersuchten Personen (63 %) positiv. Damit liegt der Anteil positiv Getesteter, der üblicherweise bei bis zu 20 % erwartet wird, weit über den aus anderen Umgebungsuntersuchungen. Allerdings ist das Testergebnis bei Personen aus Ländern, in denen die Tuberkulose häufiger vorkommt, auch häufiger im Test positiv, ohne dass dies auf eine frische Ansteckung hindeutet. Gründe für den ho-hen Anteil positiv getesteter Personen können u. a. sein:
– neuer Kontakt mit Tuberkuloseerregern durch engen Kontakt zu einer der erkrankten Personen im aktuellen Arbeits- oder Wohnumfeld,
– früherer Kontakt mit Tuberkuloseerregern in der Heimat oder im früheren Arbeits- oder Wohnumfeld.

Eine Röntgen-Untersuchung der Lunge zum Ausschluss einer aktiven Lungentuberkulose wird bei den positiv getesteten Personen durch einen Lungenfacharzt durchgeführt. Die Befunde stehen mit Stand 20.12.2018 noch aus.


Im Zusammenhang mit den vier Fällen im LK Osnabrück wurden insgesamt ca. 115 Kontaktpersonen aus dem Landkreis Osnabrück auf eine Tuberkulose-Erkrankung untersucht. Hier wurde auf die immunologische Testung im IGRA verzichtet und bei allen Kontaktpersonen sofort eine Rönt-gen-Thorax-Untersuchung durchgeführt. Dabei wurde kein weiterer Fall einer ansteckenden Lun-gentuberkulose identifiziert.


3. Was hat die Landesregierung bislang unternommen und was plant sie zu unternehmen, um die Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen in Arbeitnehmerüberlassung, d. h. der Wanderarbeiter, so zu verbessern, dass gesundheitliche Risiken für diese Menschen weitestgehend ausgeschlossen werden können?
Von der NGG als „Ausbeutung“, „krank“ und „kaputt“ machend bezeichnete Arbeits- und Lebens-bedingungen widersprechen natürlich auch aus Sicht des Landes Niedersachsen den Mindestan-forderungen an einen sozialen Rechtstaat.


Vor diesem Hintergrund und parallel u. a. zu Aufforderungen an die für das Arbeitsrecht zuständige Bundesregierung, die Kontrollkapazitäten der u. a. für die Einhaltung des gesetzlichen Mindest-lohns und der entsendegesetzlich geregelten Mindestarbeitsbedingungen zuständigen Finanzkon-trolle Schwarzarbeit beim Zoll zu verstärken, hat die Landesregierung insgesamt vier Beratungs-stellen für mobile Beschäftigte eingerichtet. Sie befinden sich in Oldenburg und Hannover, für den Raum Südost-Niedersachen in Braunschweig und in Lüneburg.


Ziel dieser Beratungsstellen ist es, die in unserem Wirtschafts- und Sozialsystem unerfahrenen und sprachbedingt oft hilflosen mobilen Beschäftigten in der Wahrnehmung ihrer Rechte und Interessen zu unterstützen und vor unzumutbaren Lebens- und Arbeitsbedingungen zu schützen. Die Bera-tung und Betreuung der mobilen Beschäftigten hat an allen Standorten die Bildungsvereinigung ARBEIT UND LEBEN Niedersachsen e. V. übernommen.


Die bisherigen Erfahrungen der Beratungsstellen zeigen, dass gerade der niederschwellige Ansatz der Beratungsstellen wirksam ist, um aktiv gegen soziale Missstände und nicht hinzunehmende schlechte Lebens-, d. h. Wohn- und Arbeitsbedingungen, beispielsweise bei Werkvertragsbeschäftigten, vorzugehen. Die Arbeit der Beratungsstellen hat nach dortiger Einschätzung in vielen Fällen auch bereits zu Verbesserungen der Wohn- und Arbeitsbedingungen geführt und damit erkennbare Erfolge erzielt.


Im Übrigen hat die Landesregierung mit dem Gem. RdErl d. MS u. d. MI v. 17.12.2013 zur bauord-nungsrechtlichen und melderechtlichen Behandlung von Unterkünften für Beschäftigte konkrete bauordnungsrechtliche Bestimmungen für Unterkünfte von Beschäftigten getroffen, für die nicht be-reits eine Verpflichtung des Arbeitgebers nach der Arbeitsstättenverordnung besteht. Gegenstand dieser bauordnungsrechtlichen Regelungen sind Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse, insbesondere Vorgaben zu Aufenthaltsraumgrößen und sanitären Anlagen, zum Brandschutz und zur Vorgehensweise der unteren Bauaufsichtsbehörden bei Hinweisen auf ungenehmigte Unterkünfte. Nach den Erkenntnissen des MU als oberste Bauaufsichtsbehörde hat der Erlass dazu bei-getragen, die Wohnverhältnisse von Arbeitnehmern und damit ihre Lebensbedingungen zu verbessern.


Für sogenannte Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter gelten arbeitsschutzrechtlich die glei-chen Bedingungen wie für alle Beschäftigten. Die Einhaltung dieser Bedingungen wird im Rahmen der allgemeinen Aufsicht und bei besonderen Anlässen, insbesondere Beschwerden, von den zu-ständigen Staatlichen Gewerbeaufsichtsämtern überprüft.

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