Antrag: 50 Jahre Niedersächsisches Bildungsurlaubsgesetz: Jetzt Bildungsfreistellung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer modernisieren und weiterentwickeln, Beteiligung erhöhen, Erwachsenenbildung stärken
Fraktion der SPD
Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen
Entschließung
Am 1. Januar 1975 trat das Niedersächsische Bildungsurlaubsgesetz in Kraft. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wird damit die Möglichkeit der Teilnahme an anerkannten Weiterbildungsveranstaltungen ohne Minderung des Arbeitsentgelts gesichert. Seit mittlerweile 50 Jahren schafft das Gesetz für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer damit einen Anspruch auf Bildungsfreistellung für die fachliche und persönliche Entwicklung, die politische Bildung und die Weiterbildung für ein Ehrenamt. Es ermöglicht individuelle Weiterbildung und schafft persönliche Bildungszeit für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die Verankerung dieses individuellen Anspruchs mit dem Niedersächsischen Bildungsurlaubsgesetz ist ein Erfolg.
Mit dem Inkrafttreten des Niedersächsischen Bildungsurlaubsgesetzes vor 50 Jahren wurden nicht nur wichtige völkerrechtliche Vereinbarungen umgesetzt. Das Gesetz sichert insbesondere das Recht auf Bildung für jeden Menschen aus Artikel 4 der Niedersächsischen Verfassung. Weiterbildung und Erwachsenenbildung sind ein wesentlicher Bestandteil dieses umfassenden Bildungsbegriffs.
Das Recht auf Bildungsfreistellung wird in Niedersachsen in diesem Jahr 50 Jahre alt. In den Jahren zuvor war die Freistellung für Bildungszeiten von Arbeitnehmenden in einzelnen Fällen tarifvertraglich geregelt. Einen bundesweiten Anspruch auf Bildungsurlaub gibt es heute abseits einzelner spezieller Bereiche nicht. Auch heute ist die Sicherung von Weiterbildung ein zentraler Bestandteil vieler Tarifverträge und geht in vielen Fällen sogar in Inhalt und Dauer über das durch Gesetz verordnete Maß hinaus. Wo tarifvertragliche Regelungen aber fehlen, ist vor dem Hintergrund der besonderen Bedeutung des Rechts auf Bildung aus der Niedersächsischen Verfassung ein Mindestanspruch vorzusehen. Diesen Mindestanspruch stellt das Bildungsurlaubsgesetz seit 50 Jahren für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sicher.
Über die Inanspruchnahme dieses Anspruchs berichtet die Landesregierung regelmäßig. Der Bericht über die Durchführung des Niedersächsischen Bildungsurlaubsgesetzes erfolgte zuletzt am 20.12.2024. Im Berichtszeitraum von 2019-2023 wurden 26.664 Bildungsveranstaltungen anerkannt. Mehr als 193.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Niedersachsen wurden im Berichtszeitraum freigestellt. Diese positiven Zahlen dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die tatsächliche Inanspruchnahme bezogen auf alle Anspruchsberechtigten nur 1,26 % betrug. Hier gilt es mögliche Barrieren zu identifizieren und abzubauen. In den letzten 50 Jahren haben sich zahlreiche Veränderungen genauso in der Arbeitswelt wie in der Kursgestaltung ergeben. Die Überarbeitung des Gesetzes muss dies berücksichtigen und darüber hinaus entsprechend den Veränderungen in der Arbeitswelt Flexibilisierungen aufnehmen, z. B. hinsichtlich der gestiegenen Teilzeitquote oder der Veränderungen durch die Digitalisierung. Zielgruppenangebote für bisher nicht ausreichend berücksichtigte Gruppen sind zu unterstützen.
Auch wenn sich die Inanspruchnahme der Bildungszeit in den vergangenen Jahren auf einem niedrigen Niveau stabilisiert, zeigen Studien und Erfahrungsberichte individuell die große Bedeutsamkeit dieses Angebots. Die Bildungszeit kann als „Partizipationstor“ dienen. Sie leistet wichtige Beiträge zur individuellen Entwicklung und bietet Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eine Chance. Diese Chance gilt es besser zugänglich zu machen, den Bildungsurlaub an die heutige Zeit anzupassen und damit Wege zur Teilhabe zu eröffnen.
Vor diesem Hintergrund und zum 50. Geburtstag des Niedersächsischen Bildungsurlaubsgesetz
I. stellt der Landtag fest:
- Erwachsenenbildung und Weiterbildung sind ein zentraler Bestandteil des Bildungsbegriffs der Niedersächsischen Landesverfassung. Ihre Förderung und Unterstützung sind von besonderer Bedeutung. Dem verleiht das Land Niedersachsen mit dem Niedersächsischen Erwachsenenbildungsgesetz und dem Niedersächsischen Bildungsurlaubsgesetz Ausdruck.
- Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben einen Anspruch auf individuelle Bildungszeit unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts. Die Sicherung dieses Anspruchs durch das Niedersächsische Bildungsurlaubsgesetz seit 50 Jahren ist ein Erfolg.
- Veränderungen in der Arbeitswelt sowie in der Art und Form der Vermittlung von Lerninhalten machen eine Modernisierung des Niedersächsischen Bildungsurlaubsgesetzes erforderlich.
- Vor dem Hintergrund der aktuellen Herausforderungen für Wirtschaft, Umwelt und unsere Demokratie kommt der Förderung der Erwachsenenbildung eine besondere Bedeutung zu.
II. Der Landtag bittet die Landesregierung,
- gemeinsam mit den Sozialpartnern und den niedersächsischen Einrichtungen der Erwachsenenbildung das Niedersächsische Bildungsurlaubsgesetz zeitgemäß weiterzuentwickeln und zu modernisieren. Dabei sind insbesondere die folgenden Aspekte zu berücksichtigen:
- Umbenennung des Gesetzes in „Niedersächsisches Bildungszeitgesetz“, Ersetzen des Begriffs „Bildungsurlaub“ durch „Bildungszeit“,
- Erhöhung der Planbarkeit für Arbeitgebende, Einrichtungen und Arbeitnehmende,
- Anpassung des Bildungsurlaubes an die Bedingungen der modernen Arbeitswelt durch Flexibilisierung von Angeboten und deren Inanspruchnahme,
- Aktualisierung der Lernformate, z. B. Anerkennung von Studienreisen und Aufnahme von Online- und Teilzeit-Lernformaten,
- Überarbeitung des Negativkatalogs,
- Ausweitung der möglichen Praxisanteile in den Bildungsmaßnahmen, insbesondere bei Fortbildungen für das Ehrenamt,
- Aufnahme von politischen Bildungsformaten für Besuche des Niedersächsischen Landtags,
- Optimierung des Berichtswesens.
- Gemeinsam mit den Akteurinnen und Akteuren der Erwachsenenbildung in Niedersachsen geeignete Formate zur Demokratiebildung zu entwickeln,
- sich beim Bund für einheitliche Mindestregelungen zur Arbeitnehmerweiterbildung einzusetzen und ein bundeseinheitliches Monitoring zu etablieren,
- den Anspruch auf Bildungszeit stärker öffentlich bekannt zu machen, um die Inanspruchnahme zu steigern,
Angebote für besondere Zielgruppen verstärkt in den Blick zu nehmen zu fördern. Schwerpunktsetzungen können beispielsweise in den Bereichen Inklusion oder Gleichstellung erfolgen
Begründung
Die Bedeutung der Erwachsenenbildung hat in den letzten Jahren enorm zugenommen. Erwachsenenbildung und Weiterbildung sind vielfach Grundlagen gelingender Transformationsprozesse, steigern die Chancengleichheit und Teilhabemöglichkeiten und leisten einen wichtigen Beitrag zu persönlicher und individueller Entwicklung. Lebenslanges Lernen ist vor dem Hintergrund einer sich ständig verändernden Welt zu einer zentralen Kompetenz geworden. Diese steigende Bedeutung des vierten Bildungssektors bedeutet auch, dass die stärkere Unterstützung von Angeboten daher ebenso geboten ist, wie die Eröffnung von Möglichkeiten zur Teilnahme an Bildungszeiten.